Bodenabbau
Einen Lebensraum komplett wegzubaggern ist ein sicherer Garant für seine Zerstörung. Ein Unding, sollte man meinen. Doch es ist in vielen Gebieten der Ostsee traurige Realität.

Die Baustoffindustrie wächst und verbraucht seit dem Boom von Beton im letzten Jahrhundert mehr und mehr Sand und Kies, die als Zuschlagstoff bei der Herstellung von Beton benötigt werden. Und nicht nur dort gibt es Bedarf: auch als Schüttmaterial im Erdbau oder in der Glas- und Halbleiterindustrie finden diese Rohstoffe Verwendung. Doch die Lagerstätten an Land erschöpfen sich mehr und mehr. Und so wirft die Industrie in zunehmendem Maße ein Auge auf die unterseeischen Sandbänke und Riffe, die für sie eine kostengünstige Quelle zur Befriedigung ihres Materialhungers darstellen. Mittlerweile werden große Bereiche auch für Küstenvorspülungen weggebaggert, die keineswegs – wie oft verkündet – eine umweltfreundliche Variante des Küstenschutzes darstellen. Jeder Vorspülung fallen hektarweise Unterwasserlebensräume zum Opfer.
Denn der Meeresboden vor unserer Küste ist Refugium einer vielfältigen Lebensgemeinschaft. Tangwälder und Seegraswiesen bieten Schutz und Nahrung für Tiere aller Größen und im Meeresgrund siedeln Milliarden von Muscheln, Schnecken, Würmern und anderem Getier. Diese Vielfalt ist die Grundlage für den natürlichen Fischreichtum unserer Gewässer, sie bietet den Jungfischen Deckung und einer überreichen Tierwelt ein abwechslungsreiches Nahrungsangebot.



Bodenabbau zerstört dieses Paradies. Der Bagger frisst den gesamten Meeresboden mit allem Leben darauf und darin. Selbst angrenzende Lebensräume werden oft durch aufgewirbelte Trübstoffe und freigesetzte Schadstoffe geschädigt, begraben und erstickt. Die Abbautiefe im Meer ist gering, sie liegt in der Regel im Bereich von einigen Dezimetern bis zu zwei Metern. Damit werden zur Gewinnung der gleichen Materialmenge viel größere Flächen zerstört als an Land, wo die Abbaumächtigkeiten viele Meter betragen. Der große "Vorteil" des Meeresabbaus: Die Zerstörung bleibt dem Menschen verborgen, die Lebensgemeinschaften verschwinden fast unbemerkt. Würden ähnliche Eingriffe auf dem Land stattfinden, wäre die Empörung riesengroß. Zwar erfolgt nach einigen Jahren eine Wiederbesiedlung durch einige Arten, doch Substrat und Relief bleiben oft dauerhaft verändert. Eine Rückkehr der gebietstypischen Tier- und Pflanzenwelt ist dann unmöglich.
Selbst in Gebieten des europäischen Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000 hat die Kiesindustrie quadratkilometergroße Begehrlichkeiten. Vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns laufen zahlreiche Genehmigungsverfahren.
Schon vor Jahrzehnten wurde in der Ostsee ein Raubbau am Meeresgrund betrieben, als mit der sogenannten Steinfischerei fast alle großen Felsblöcke entfernt wurden. Diese Felsen bildeten auf den weiträumig sandigen oder schlickigen Flächen der Ostsee einen wichtigen festen Untergrund (Hartsubstrat) für alle sessilen, unbeweglichen Tiere wie zum Beispiel Muschelbänke. Durch ihre industrielle Entnahme wurde ein wichtiger Lebensraum vollkommen zerstört. Heute stellt das Versenken von Gesteinsbrocken eine Ausgleichsmaßnahme dar, um ursprüngliche Habitate wieder herzustellen. Allerdings war das Ausmaß der Steinfischerei so groß, dass vereinzelte Ausgleichsmaßnahmen im kleinen Maßstab eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken.
Und was kann gegen den Raubbau getan werden? Hier ist die Politik gefragt und muss auf folgende Punkte ein Auge haben:

- Kein Bodenabbau in Meeresschutzgebieten. Hier muss ein Bodenabbau generell verboten werden.
- Wirksame Umweltauflagen. Ausgleichsmaßnahmen müssen die entstehenden Schäden wirksam kompensieren. Wo ein Ausgleich nicht möglich ist, darf ein Abbau nicht genehmigt werden.
- Keine Bebauung an abtrags- und überflutungsgefährdeten Küsten. Hier dürfen keine weiteren Baugenehmigungen erteilt werden, denn sie erfordern später teure und umweltzerstörende Küstenschutzmaßnahmen.
- Küstenvorspülungen mit Augenmaß. Vorspülungen können allenfalls vor besiedelten Ortschaften eine Option sein.
- Rohstoffsicherung an Land. Ein Abbau im Meer ist nicht weniger konfliktträchtig als ein Abbau an Land und ist zudem noch häufig mit weiten Transportwegen verbunden.
Das Meer darf nicht als vermeintlich billige Baustoffquelle herhalten!